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Grönländische Wikinger waren einst Europas Elfenbeinhändler Nr. 1

Geschrieben von Dr. Michael Wenger am . Veröffentlicht in Geschichte.

Die ersten europäischen Siedler in Grönland waren Wikinger unter der Führung von Erik dem Roten. Während rund 500 Jahren gedeihte die Kolonie im Süden Grönlands, bis sie auf mysteriöse Weise verschwand. Über das Leben war bisher wenig bekannt. Doch neue DNA-Analysen an Walrossschnitzereien zeigen, dass diese Kolonie das Monopol über den Handel mit Walrosselfenbein in Europa hielt. Diese Abhängigkeit könnte für das Verschwinden mitverantwortlich gewesen sein, als der Handel am Ende zurückging.

Die Walrosse, die grösste Robbenart im Norden, werden bereits seit Jahrhunderten wegen ihren markanten Stosszähnen gejagt. Besonders in Grönland hat sich die Population durch diese extensive Bejagung nur langsam erholt. Bild: Michael Wenger
Die Walrosse, die grösste Robbenart im Norden, werden bereits seit Jahrhunderten wegen ihren markanten Stosszähnen gejagt. Besonders in Grönland hat sich die Population durch diese extensive Bejagung nur langsam erholt. Bild: Michael Wenger

Die isländischen Sagen erzählen von Erik dem Roten, der am Ende des 10 Jhd. wegen Mordes aus Island flüchten musste und in Südwestgrönland eine neue Wikingersiedlung gegründet hatte. Die Siedlung wuchs und bis in die Mitte des 12. Jhd. waren knapp 1‘000 Siedler dort ansässig, die sogar ihren eigenen Bischof hatten. Doch am Ende des 15. Jhd. verschwanden die Wikinger Grönlands praktisch spurlos. Die Gründe für das Verschwinden wurden häufig im sich verändernden Klima und eine mangelnde Anpassungsfähigkeit der Anbautechniken gesucht. Doch auch Handelsbeziehungen, vor allem mit Walrosszähnen, mit Europa waren wahrscheinlich lebenswichtig für die Wikinger Grönlands. Denn zu jenem Zeitpunkt erlebten die Elfenbeinschnitzereien besonders für die Kirche einen unglaublichen Aufschwung. Nun haben Wissenschaftler der Universität Cambridge die Quelle dieser Walrosszähne zurück nach Grönland verfolgen können. Mit Hilfe von DNA-Analysen entdeckten die Forscher einen evolutionäre Spaltung bei den Walrossen und dass die Grönland-Wikinger während zwei Jahrhunderten den Elfenbeinhandel beinahe komplett kontrolliert hatten.

Solche delikate Schnitzereien wie diese Plakette wurden ab dem 10. oder 11. Jahrhundert überall in Europas Kirchen verwendet. Wer es sich leisten konnte, hatte Gegenstände aus Walross-Elfenbein bei sich. Der Handel damit erhielt die Wikingersiedlungen in Südgrönland am Leben. Bild Museum of Archeology & Antropology, University of Cambridge
Solche delikate Schnitzereien wie diese Plakette wurden ab dem 10. oder 11. Jahrhundert überall in Europas Kirchen verwendet. Wer es sich leisten konnte, hatte Gegenstände aus Walross-Elfenbein bei sich. Der Handel damit erhielt die Wikingersiedlungen in Südgrönland am Leben. Bild Museum of Archeology & Antropology, University of Cambridge

Die Resultate der DNA-Analyse zeigten, dass sich das atlantische Walross während der letzten Eiszeit in zwei Linien aufgespaltet: eine östliche Hauptlinie und einen westlichen Arm, der nur zwischen Kanada und Westgrönland existierte. Zu Beginn des Handels mit Walrosselfenbein wurden vor allem Tiere im Osten gejagt. Doch mit dem steigenden Bedarf aufgrund der demographischen Veränderungen in Europa (Verflechtung von Kirche und Staat, Bildung einer Elite, Stärkung urbaner Zentren), verschob sich die Quelle praktisch ausschliesslich auf die westliche Linie von Walrossen. Und diese wurden, so die Forscher, von den Wikingern aus Grönland geliefert. „Unsere Resultate weisen darauf hin, dass um 1100 herum die grönländischen Wikinger die Hauptlieferanten von Walrosselfenbein nach Europa waren“, meint Dr. James H. Barrett, von der Universität Cambridge und Co-Autor der Arbeit. „Der Wechsel im Elfenbeinhandel stimmt mit dem Wachstum der grönländischen Wikingersiedlungen überein. Denn mit dem Wachstum wurden auch beispielsweise mehr Kirchen gebaut. Ausserdem konnten die Wikinger beim König von Norwegen einen eigenen Bischof sichern und sie bezahlten die Abgaben mit Zähnen.“

Die Wikinger nutzten den Handel mit Walrosszähnen, um eine gewisse Eigenständigkeit zu erlangen. Ab 1000 wurde die Christianisierung eingeleitet und eigene Kirchen gebaut. Um 1120 herum erhielten die Siedler auch einen eigenen Bischof. Bild: Wikipedia
Die Wikinger nutzten den Handel mit Walrosszähnen, um eine gewisse Eigenständigkeit zu erlangen. Ab 1000 wurde die Christianisierung eingeleitet und eigene Kirchen gebaut. Um 1120 herum erhielten die Siedler auch einen eigenen Bischof. Bild: Wikipedia

Doch die neuen Erkenntnisse aus den DNA-Analysen geben immer noch keinen Aufschluss darüber, warum die Kolonie bis zum 15. Jhd. verschwand. Verschiedene Gründe werden genannt, darunter auch der Rückgang im Handel mit Walrosszähnen. „Ein Wandel im Geschmack der Europäer und der aufkommende Handel mit Elefantenstosszähnen könnte einer der Gründe gewesen sein. Denn eine Abhängigkeit von einem Handelsgut ist für eine Gemeinschaft auch die Saat für deren Verletzlichkeit“, erklärt Barrett. Den atlantischen Walrossen war mit dem Niedergang der Wikinger auf jeden Fall nur eine kurze Verschnaufpause gegönnt. Mit den Walfängern kam der nächste Jäger, der noch schlimmer wüten würde und derentwegen die Walrosse beinahe ausgerottet worden wären.

Das atlantische Walross ist eine von zwei Unterarten von Walrossen. Es ist etwas kleiner als sein pazifischer Verwandter und auch zahlenmässig weniger. Doch aufgrund der strengen Schutzmassnahmen erholen sich die Bestände langsam. Bild: Michael Wenger
Das atlantische Walross ist eine von zwei Unterarten von Walrossen. Es ist etwas kleiner als sein pazifischer Verwandter und auch zahlenmässig weniger. Doch aufgrund der strengen Schutzmassnahmen erholen sich die Bestände langsam. Bild: Michael Wenger

Quelle: Fred Lewsey, Universität von Cambridge